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BFH äußert sich zur Auslegung von Einspruchsschreiben

Zinsbescheide werden in der Regel vom Finanzamt mit Steuerbescheiden verbunden, sodass es sich für den Steuerpflichtigen auf den ersten Blick um nur einen Bescheid handelt. Aus verfahrensrechtlicher Sicht handelt es sich jedoch insoweit um zwei getrennte Bescheide, gegen die in der Regel auch getrennt Einspruch eingelegt werden muss. Nicht immer werden jedoch die Zinsbescheide explizit auf den Steuerbescheiden benannt.

17.05.2022

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat sich mit Urteil vom 15. Dezember 2021 (Az. III R 34/20) nun zur Auslegung von Einspruchsschreiben in diesem Zusammenhang geäußert und geurteilt, dass, sofern die vom Finanzamt verwendete Bezeichnung für verbundene Bescheide unvollständig ist, ein Einspruchsschreiben, welches diese Bezeichnung, aber keine Begründung enthält, der Auslegung zugänglich ist (Leitsatz).

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger erzielte in den Streitjahren unter anderem Beteiligungseinkünfte. Aufgrund einer Änderung der Grundlagenbescheide über die Beteiligungseinkünfte änderte das Finanzamt am 17. April 2018 die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 2002 bis 2006 sowie 2009 und setzte Zinsen zur Einkommensteuer fest. Die Bescheide waren jeweils nur als „Bescheid für über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag“ gekennzeichnet.

Der Kläger erhob am 17. Mai 2018 Einspruch gegen besagte Bescheide und beantragte die Aussetzung der Vollziehung bzw. Stundung der festgesetzten Nachzahlungen. Der Kläger wurde hierbei durch eine Steuerberatungs- und Rechtsanwaltskanzlei unterstützt. Der Steuerberater des Klägers erhob mit Schreiben vom gleichen Tag auch Einwendungen gegen die Zinsfestsetzungen (Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes sowie gegebenenfalls Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit aufgrund der überlangen Verfahrensdauer). Hierbei wurde auf das Einspruchsschreiben Bezug genommen. Das Schreiben ging nach Ablauf der Einspruchsfrist beim Finanzamt ein. Das Einspruchsschreiben vom 17. Mai 2018 enthielt neben der Wiedergabe der vom Finanzamt gewählten Überschrift für die Sammelbescheide der einzelnen Streitjahre im Betreff keine weiteren Ausführungen.

Das Finanzamt verwarf die Einsprüche mit der Begründung der Unzulässigkeit wegen versäumter Frist. Die Klage vor dem Finanzgericht (FG) blieb erfolglos.

Entscheidung

Der BFH gab dem Kläger Recht. Der Einspruch vom 17. Mai 2018 sei unter Berücksichtigung der nachfolgenden Äußerung des Klägers dahingehend auszulegen, dass er sich auch auf die Zinsfestsetzungen beziehe.

Das Gericht verwies darauf, dass nach § 357 Abs. 3 Satz 1 AO der Verwaltungsakt zu bezeichnen ist, gegen den der Einspruch gerichtet ist. Die Rechtswirksamkeit des Behelfs sei daher nicht von der genauen Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsaktes abhängig. Das Ziel des Begehrens solle sich aber aus der Rechtsbehelfsschrift in der Weise ergeben, dass der angefochtene Verwaltungsakt sich aus dem Inhalt des Rechtsbehelfs ermitteln ließe. Fehlt eine eindeutige Erklärung, sei der wirkliche Wille des Steuerpflichtigen zu ermitteln; dabei dürfen auch außerhalb der Erklärung liegende Umstände berücksichtigt werden. Es sei davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige denjenigen Verwaltungsakt anfechten will, den er anfechten muss, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Dies gelte auch für sachkundige Vertreter des Steuerpflichtigen. Außerdem sei es nicht von Bedeutung, ob die Konkretisierung des Rechtsschutzbegehrens erst nachträglich erfolge, auch außerhalb der Einspruchsfrist. Vielmehr sei bei nachträglich eingereichten Begründungen zu prüfen, ob der Wille zur Anfechtung eines bestimmten Verwaltungsaktes bereits im ursprünglichen Einspruch vorlag oder sich erst nachträglich gebildet hat. Sofern der Steuerpflichtige in seinem Einspruchsschreiben wie im vorliegenden Fall nur die Bezeichnung des (verbundenen) Steuerbescheides wiedergibt und sich in einem späteren Begründungsschreiben, anders als im vorliegenden Fall, lediglich auf diesen Teil des verbundenen Steuerbescheides bezieht, sei davon auszugehen, dass der Einspruch nur diesen Teil des verbundenen Steuerbescheides betraf.

Das FG sei davon ausgegangen, dass die Einspruchsschrift des Klägers nicht auslegungsbedürftig gewesen wäre und habe damit gegen § 133 BGB verstoßen. Damit könne der BFH selbst die Auslegung vornehmen. Demnach sei unter der Berücksichtigung des nachträglichen Schriftsatzes davon auszugehen, dass sich der Einspruch vom 17. Mai 2018 gegen die Zinsfestsetzung richtete.

Die Revision des Klägers führte daher zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das FG.

Einschätzung und Ausblick

Die Auffassung des BFH ist zu begrüßen. Die Auslegung des Willens des Einspruchsführers hat immer dann zu erfolgen, wenn sich der Einspruch gegen verbundene Bescheide richtet, die jedoch seitens der Finanzverwaltung unvollständig bezeichnet sind. Voraussetzung ist jedoch, dass sich der Wille des Einspruchsführers entsprechend manifestiert bzw. durch entsprechende Begründungen kenntlich gemacht wird.

Aus unserer Sicht ist es daher weiterhin ratsam, zur Verhinderung von Verfahrensverzögerungen im Einspruchsschreiben detailliert darauf einzugehen, gegen welchen Bescheid sich der Einspruch richtet, sofern es sich um verbundene Bescheide handelt.

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