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Zahlungsverbot nach Insolvenzreife – eingeschränkte Haftung des Geschäftsführers für Vorschusszahlungen?

Die Zahlungsverbote, die der Geschäftsleitung eines Unternehmens aufgeben, in der Krise zum Schutz der Gläubiger das Aktivvermögen zu erhalten, gerät in letzter Zeit verstärkt in den Fokus der Rechtsprechung. Dabei werden nicht nur neue Detailfragen aufgegriffen, sondern auch die höchstrichterliche Rechtsprechung in Frage gestellt.

BGH: Weites Verständnis des Zahlungsbegriffs

Der BGH versteht den Begriff der „Zahlungen im Sinne der Haftungsnormen für GmbH-Geschäftsführer in § 64 S. 1 GmbHG, für AG-Vorstände in § 92 Abs. 2 AktG bzw. für Geschäftsführer in §§ 130 a, 177 a HGB seit jeher sehr weit. Als „Zahlung“ wird insbesondere jede von dem Geschäftsführer veranlasste oder zugelassene Zahlung von Gesellschaftsschuldnern auf ein debitorisches Bankkonto des späteren Insolvenzschuldners im Stadium der Insolvenzreife angesehen (BGH NZI 2007 S. 418 f). Begründet wird dies damit, dass der Geschäftsführer in diesem Stadium, wenn er schon seine Insolvenzantragspflicht nicht rechtzeitig wahrnimmt, seiner Masseerhaltungspflicht nachkommen muss.

Neu: Haftungsbegrenzung nach dem Verständnis des OLG Hamburg

Das OLG Hamburg will diese persönliche Haftung des Geschäftsführers nunmehr einschränken. Der Entscheidung lag eine durchaus typische Fallgestaltung zugrunde: Eine GmbH & Co. KG wurde insolvent. Nach Eintritt der Krise nahmen Geschäftspartner der GmbH & Co. KG Vorauszahlungen auf das debitorisch geführte Kontokorrentkonto der späteren Insolvenzschuldnerin vor. Daraufhin erfolgte die Insolvenzeröffnung. Der eingesetzte Insolvenzverwalter berief sich auf das Zahlungsverbot und machte gegenüber dem Geschäftsführer eine persönliche Haftung gemäß §§ 130 a, 177 a HGB geltend.

Das OLG Hamburg wies die Klage aber zurück. Zwar seien diese Zahlungen als „Zahlungen“ im Sinne des Zahlungsverbots anzusehen, da masseschmälernde Zahlungen nicht nur in Form von Auszahlungen von einem Guthabenkonto, sondern auch durch Einzahlungen von Dritten auf ein debitorisch geführtes Konto des späteren Insolvenzschuldners erfolgen können. Jedoch führe eine Verletzung des Zahlungsverbots nicht zu einer persönlichen Haftung des Geschäftsführers, wenn die Zahlung auch bei einem pflichtgemäßen Verhalten des Geschäftsführers nicht in die Masse gelangt wäre.

Im vorliegenden Fall sah das OLG diesen Ausnahmefall als gegeben an, da die Vertragspartner der Insolvenzschuldnerin mutmaßlich keine Neigung verspürt hätten, gegenüber einer insolventen Gesellschaft eine Vorleistung zu erbringen. Hier hätte es auch nicht genutzt, dass der Geschäftsführer – wie in diesen Fällen grundsätzlich üblich und geboten – ein neues Geschäftskonto einrichtet. Hier hätte die Mitteilung der neuen Bankverbindung die Insolvenzreife der Schuldnerin nämlich offengelegt, zumal den Geschäftspartnern bereits bekannt gewesen sein dürfte, dass sich die Schuldnerin jedenfalls in einer gespannten finanziellen Lage befand. Auch hätte die kontoführende Bank nach dem Vortrag des Geschäftsführers umgehend einen Insolvenzantrag gestellt, wenn auf dem Kontokorrent keine Zahlungen mehr eingegangen wären.

Revision zum BGH zugelassen

Das OLG Hamburg hat die Revision zum BGH zugelassen – und dies nicht ohne Grund. Denn diese Rechtsprechung würde die oben dargestellte bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung zum Zahlungsverbot maßgeblich ändern.

Persönliche Haftung der Geschäftsleitung im Krisenfall könnte an Gewicht verlieren

Sollten Mutmaßungen, dass die bisher kontoführende Bank einen Insolvenzantrag stellen würde, wenn keine weiteren Zahlungen mehr eingehen, dazu führen, dass die persönliche Haftung des Geschäftsführers aufgrund der Normen des Zahlungsverbots ausgeschlossen ist, dann verliert die bisherige persönliche Haftung eines Geschäftsführers wegen der Verletzung von Zahlungsverboten in diesen Fallvarianten ganz wesentlich an Gewicht. Dies mag als „Lichtblick“ in der strengen Rechtsprechung des BGH zur persönlichen Haftung des Geschäftsführers in der Krise der Unternehmung angesehen werden.

Entscheidend ist die Erhaltung der Haftungsmasse – Argumentation des OLG angreifbar

Hinweise für die Praxis

Doch Vorsicht ist geboten: Ob die Rechtsprechung des OLG sich durchsetzen wird, dürfte durchaus kritisch gesehen werden. Denn ganz überzeugend ist die Argumentation des OLG nicht. Ausgangspunkt des Zahlungsverbots ist, dass ab dem Zeitpunkt, in dem ein Insolvenzgrund vorliegt, der Geschäftsführer masseschmälernde Handlungen unterlassen soll. Vor diesem Hintergrund ist er auch gehalten, ausstehende Zahlungen auf ein neues Konto bzw. auf ein Guthabenkonto zu leiten. Ob die bisher das Geschäftskonto führende Bank als Reaktion auf diese Umleitung einen Insolvenzantrag stellt oder nicht, hat für diese Betrachtung aber überhaupt keine Relevanz. Denn entscheidend ist allein, dass die ausstehenden Zahlungen nicht auf einem debitorischen Konto verrechnet werden, sondern dem Zugriff der Gesamtgläubigerschaft erhalten bleiben. Dieses Ziel wäre aber zu erreichen – egal, ob die bisherige Hausbank einen Insolvenzantrag stellt. Auch die Argumentation, dass die Mitteilung des neuen Geschäftskontos die Insolvenz des Schuldners offengelegt hätte, ist zumindest nicht zwingend. So gibt es durchaus auch andere Gründe, die ein Unternehmen dazu bewegen, sein Geschäftskonto ab sofort bei einer anderen Bank zu führen. Zudem: Ob es bei den Geschäftspartnern des Schuldners wirklich auffällt, dass dieser auf seinen Rechnungen/Vorschussabforderungen nunmehr ein anderes Konto angibt, dürfte doch wohl eher fraglich sein. Diese Tatsache hat man wohl selbst dann nicht im Blick, wenn man weiß, dass der Schuldner sich in einer finanziell angespannten Lage befindet. Aber auch wenn der Geschäftspartner von der finanziell angespannten Lage weiß, könnten gute Gründe für den Wechsel der Geschäftsbank vorliegen, sodass der Geschäftspartner auch nicht zwingend von der Insolvenz des Schuldners ausgehen kann.

Klare Rahmenbedingungen für Geschäftsführer erforderlich

Es bleibt zu hoffen, dass der BGH zu dieser Frage, die eine hohe praktische Relevanz aufweist, sehr bald eine Entscheidung trifft. Dies zumal Fragen des Zahlungsverbots in der letzten Zeit immer stärker in den Fokus geraten und die Geschäftsführer klare Rahmenbedingungen benötigen, um ihren haftungsfreien Handlungsspielraum abschätzen zu können.

Den Volltext des Urteils können Sie hier abrufen https://openjur.de/u/2126100.html

 

Weitere Informationen finden Sie auch in unserem Newsbeitrag vom 5.2.2019 sowie unserem Newsbeitrag vom 19.9.2018.

 

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