Fachnews
Neues vom BMF zur umsatzsteuerlichen Organschaft

Mit seinem Schreiben vom 26. Mai 2017 hat das BMF (III C 2 – S 7105/15/10002) auf die Rechtsprechung von EuGH und BFH zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft sowie zum Umfang des Vorsteuerabzugs beim Erwerb und im Zusammenhang mit dem Halten von gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen reagiert. Die entsprechenden Änderungen des Umsatzsteueranwendungserlasses bedeuten in wesentlichen Punkten eine Abkehr von der bisherigen Auffassung der Finanzverwaltung.

10.07.2017

I. BMF-Schreiben im Einzelnen

1. Neu: Personengesellschaften als Organgesellschaften

Erwartungsgemäß gibt das BMF seine bisherige Auffassung auf und lässt nun auch Personengesellschaften als Organgesellschaften zu. Im Gegensatz zur Eingliederung von Kapitalgesellschaften, sind die Voraussetzungen für die Eingliederung von Personengesellschaften jedoch höher. Zum einen weist das BMF – allgemein – ausdrücklich auf den Ausnahmecharakter hin. Zum anderen konkretisiert es die finanzielle Eingliederung dahingehend, dass Gesellschafter der Personengesellschaft entweder

  • alleinig der Organträger ist oder
  • neben dem oder anstelle des Organträgers nur Gesellschafter vorhanden sind, die ihrerseits nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind (vgl. Abschn. 2.8 Abs. 5a UStAE n.F.).

Motiv hierfür ist die erforderliche Durchgriffsmöglichkeit selbst bei Anwendung des Einstimmigkeitsprinzips sicherzustellen.

Im Ergebnis kann daher nach dieser Auffassung jede Art von Personengesellschaft – ob nun GmbH & Co. KG, OHG oder GbR – Organgesellschaft sein. Voraussetzung ist jedoch, dass die Personengesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu 100 % in den Organträger eingegliedert ist. Außerhalb der Organschaft stehende Gesellschafter können demnach nicht direkt über die Personengesellschaft, sondern (nur) mittelbar über eine Kapitalgesellschaft beteiligt werden.

Gleichwohl verbleibt ein gewisses prozessuales Restrisiko, sofern eine umsatzsteuerliche Organschaft gewünscht ist und es sich bei der Personengesellschaft nicht um eine GmbH & Co. KG handelt. Denn im Hinblick auf die Art der Personengesellschaft – jedwede Art oder nur GmbH & Co. KG – besteht in den beiden für Umsatzsteuer zuständigen Senaten des BFH keine Einigkeit.

2. Neu: Organisatorische Eingliederung setzt aktive Willensdurchsetzung voraus

Übernommen hat das BMF ferner die Rechtsprechung des BFH zur organisatorischen Eingliederung: Entgegen der bisherigen Auffassung der Finanzverwaltung reicht hierfür nicht mehr nur die Verhinderung einer vom Organträger abweichenden Willensbildung aus. Vielmehr muss der Organträger seinen Willen bei der Organgesellschaft (aktiv) durchsetzen können (vgl. Abschn. 2.8 Abs. 7 S. 2 und 3 UStAE n.F.).

Demnach ist es zwar weiterhin nicht erforderlich, dass die Geschäftsführungen von Organträger und Organgesellschaft personenidentisch sind. Erforderlich ist aber nunmehr

  • bei Stimmenminderheit der personenidentischen Geschäftsführer von Organträger und Organgesellschaft oder
  • bei Einzelgeschäftsführungsbefugnis der fremden Geschäftsführer,

dass die Beherrschung der Organgesellschaft durch den Organträger durch zusätzliche institutionell abgesicherte Maßnahmen sichergestellt wird (vgl. Abschn. 2.8 Abs. 8 S. 7 UStAE n.F.). Beispielhaft nennt das BMF insofern – nach wie vor –

  • ein umfassendes Weisungsrecht des Organträgers gegenüber der Organgesellschaft sowie die Berechtigung zur Bestellung und Abberufung aller Geschäftsführer der Organgesellschaft bzw.
  • ein schriftlich vereinbartes Letztentscheidungsrecht des personenidentischen Geschäftsführers.

Eine Gesamtgeschäftsführungsberechtigung in der Organgesellschaft ist daher bereits problematisch.

Die bloße Möglichkeit des Organträgers, abweichende Beschlüsse in der Organgesellschaft zu verhindern, reicht somit nicht mehr aus. Dies hat zur Folge, dass ggf. die Regelungen über die Geschäftsführung angepasst werden müssen, um eine organisatorische Eingliederung nach den neuen strengeren Grundsätzen zu begründen bzw. beizubehalten.

3. Ergänzung: schriftlich fixierte Vereinbarungen zur Begründung der organisatorischen Eingliederung ohne personelle Verflechtung auch in Form von Anstellungsverträgen

In Bezug auf die weiterhin bestehende Ausnahme der organisatorischen Eingliederung ohne personelle Verflechtung ergänzt das BMF unter Berufung auf die Rechtsprechung des XI. BFH-Senats seine bisherigen Ausführungen. Die insofern erforderlichen schriftlich fixierten Vereinbarungen, wonach der Organträger in der Lage sein muss, gegenüber Dritten seine Entscheidungsbefugnis nachzuweisen und den Geschäftsführer der Organgesellschaft bei Verstößen gegen seine Anweisungen haftbar zu machen, können neben Geschäftsführerordnung und Konzernrichtlinie auch in Form von Anstellungsverträgen gefasst werden.

4. BMF vs. BFH-Revision: Genügt ein Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag für die organisatorische Eingliederung?

Zudem geht das BMF künftig stets von der organisatorischen Eingliederung aus,

  • wenn die Organgesellschaft mit dem Organträger einen Beherrschungsvertrag i.S.v. § 291 AktG geschlossen hat und dieser im Handelsregister eingetragen ist oder
  • die Organgesellschaft nach §§ 319, 320 AktG in die Gesellschaft des Organträgers eingegliedert ist.

Entgegen der bisherigen Verwaltungspraxis kann die Organschaft – durch das zwingende Abstellen auf die Eintragung des Beherrschungsvertrages im Handelsregister – künftig grundsätzlich nicht mehr einvernehmlich erst ab dem Folgemonat umgesetzt werden.

Bedeutend ist in diesem Zusammenhang das anhängige Revisionsverfahren vor dem BFH zu der Frage, ob das Vorliegen eines Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrags für die organisatorische Eingliederung überhaupt genügen kann (BFH, Beschl. v. 29. März 2016, V R 7/16). Für den Fall, dass der BFH Beherrschungsverträge nicht als taugliches Eingliederungsmerkmal für die umsatzsteuerliche Organschaft anerkennen sollte, würde dies auch zur Untauglichkeit der übrigen schriftlich fixierten Vereinbarungen wie z.B. „Geschäftsführungsordnung“ führen.

5. Klarstellung: Stimmrechtsvereinbarungen ohne Einfluss auf Merkmal der finanziellen Eingliederung

Das BMF misst für die Frage der finanziellen Eingliederung (i.d.R. Beteiligung mehr als 50 %) „geliehenen“ Stimmrechten aus Stimmbindungsvereinbarungen oder Stimmrechtsvollmachten grundsätzlich keine Bedeutung zu. Diese sind aus Gründen der Rechtsklarheit nur ausnahmsweise zu berücksichtigen, wenn sie sich ausschließlich aus Regelungen der Satzung wie etwa bei einer Einräumung von Mehrfachstimmrechten ergeben (Abschn. 2.8. Abs. 5 S. 3 und 4 UStAE n.F.).

6. Neu: Beschränkung des Vorsteuerabzugs einer Holding

Ferner schränkt die Finanzverwaltung das Recht auf Vorsteuerabzug aus Leistungen im Zusammenhang mit dem Einwerben von Kapital zur Anschaffung einer Beteiligung ein. Demnach ist für den Unternehmer (insbesondere für eine Holding) der Vorsteuerabzug ausgeschlossen,

  • soweit das eingeworbene Kapital in keinem Verhältnis zu der im unternehmerischen Bereich gehaltenen gesellschaftsrechtlichen Beteiligung steht, oder
  • wenn die den Vorsteuerabzug begründenden Umsätze eine missbräuchliche Praxis darstellen.

Der Ansatz des BMF, das eingeworbene Kapital in ein Verhältnis zur gesellschaftsrechtlichen Beteiligung zu stellen, wird in der Literatur unter Berufung auf ein Urteil des BFH (Urt. v. 6. April 2016, V R 6/14) dahingehend verstanden, dass der Vorsteuerabzug bei einem Missverhältnis zwischen Eingangs- und Ausgangsumsätzen beschränkt werden könne. Diese Interpretation widerspricht indes der höherrangigen Rechtsprechung des EuGH. Der EuGH hat in den Grundsatzurteilen des Jahres 2015 zu Holdinggesellschaften gerade nicht verlangt, dass die Ausgangsumsätze die vorsteuerbelasteten Aufwendungen amortisieren müssten.

II. Zeitlicher Anwendungsbereich

Während die Ausführungen bzgl. der Beschränkungen des Vorsteuerabzugs in allen offenen Fällen anzuwenden sind, gewährt das BMF den Unternehmern im Übrigen, d.h. bzgl.

  • des Einbezugs von Personengesellschaften als Organgesellschaften,
  • dem Erfordernis der aktiven Willensdurchsetzung und
  • dem fehlenden Einfluss von Stimmrechtsvereinbarungen auf das Merkmal der finanziellen Eingliederung

eine Übergangsregelung bis zum 31. Dezember 2018.

Erfreulich ist insofern, dass das BMF selbst eine frühere Anwendung auf noch offene Voranmeldungszeiträume nicht beanstandet, wenn sich die am Organkreis Beteiligten bei der Beurteilung des Umfangs der umsatzsteuerlichen Organschaft übereinstimmend auf die entsprechenden Regelungen des o.g. BMF-Schreibens berufen. Hier ergeben sich u.U. Gestaltungsspielräume für die Vergangenheit.

III. Auswirkungen auf die Praxis

Trotz der Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2018 sollten Unternehmen bereits jetzt prüfen, ob Tochter-Personengesellschaften ab 1. Januar 2019 zum Organkreis gehören. Ggf. ist der Einbezug von Tochterpersonengesellschaften auch für vergangene Voranmeldungszeiträume vorteilhaft oder erweist sich (etwa wegen der Verlagerung des Umsatzsteuerrisikos auf den Organträger) als nachteilig.

Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass die umsatzsteuerliche Organschaft in Deutschland selbst nicht wählbar ist. Unabhängig von einem Antrag o.ä.

  • entsteht eine Organschaft automatisch, wenn eine Gesellschaft wirtschaftlich, finanziell und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist bzw.
  • endet eine Organschaft automatisch, wenn die Voraussetzungen wegfallen.

Beabsichtigt ein Unternehmer mithin, entweder eine Personengesellschaft in den Organkreis aufzunehmen oder im Gegenteil eine umsatzsteuerliche Organschaft mit einer Tochter-Personengesellschaft zu vermeiden, sind beispielsweise ggf.

  • die Beteiligungsverhältnisse,
  • das Halten der Gesellschaftsanteile durch Dritte,
  • die Anzahl der Geschäftsführer und die Ausgestaltung der entsprechenden Geschäftsführungsbefugnisse oder
  • sonstige Voraussetzungen

entsprechend anzupassen. Im Besonderen besteht Handlungsbedarf in den Fällen, in denen die organisatorische Eingliederung mit der bisherigen „alten“ Auffassung der Finanzverwaltung nur über eine passive Willensdurchsetzung sichergestellt worden ist. Umgekehrt können sich Unternehmer unter Berufung auf die Rechtsprechung des BFH und das o. g. BMF-Schreiben auch für noch offene vergangene Zeiträume auf eine fehlende aktive Willensdurchsetzung berufen und so die Organschaft „rückwirkend aufheben“.

Zudem sollten Konzerne prüfen, ob sie die finanzielle Eingliederung bisher nur über Stimmbindungsvereinbarungen oder Stimmrechtsvollmachten sicherstellen und dies ggf. entsprechend künftig anpassen.

Sofern Sie bei der Prüfung der „neuen, verschärften“ Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft oder dem Umgang mit entsprechenden Risiken weitere Fragen haben, zögern Sie bitte nicht, uns anzusprechen.

Ihre Ansprechpartnerin:

Dr. Kerstin Bohne, Rechtsanwältin

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