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Grundsatzentscheidung des Bundessozialgerichts (BSG): Ehrenamt in der gesetzlichen Sozialversicherung grundsätzlich beitragsfrei (Az.: B 12 KR 14/16 R)

Der 12. Senat des BSG hat mit Urteil vom 16. August 2017 entschieden, dass Ehrenämter in der gesetzlichen Sozialversicherung grundsätzlich beitragsfrei sind, auch wenn hierfür eine angemessene pauschale Aufwandsentschädigung gewährt wird.

08.11.2017
Sachverhalt und Hintergrund

Geklagt hatte eine Kreishandwerkerschaft gegen die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund). Streitgegenständlich war die ehrenamtliche Tätigkeit eines Kreishandwerkmeisters, der neben seiner Tätigkeit als selbstständiger Elektromeister gleichzeitig der Kreishandwerkerschaft, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, ehrenamtlich vorstand. Der Kreishandwerksmeister erhielt für sein Ehrenamt eine Aufwandsentschädigung von jährlich 7.200 Euro. In den Vorjahren war die Aufwandsentschädigung geringer und betrug ca. 4.500 bzw. 3.690 Euro. Die Kreishandwerkerschaft unterhält für die laufenden Geschäfte eine eigene Geschäftsstelle mit Angestellten und beschäftigt daneben einen hauptamtlichen Geschäftsführer.

In der ehrenamtlichen Tätigkeit sah die DRV Bund, im Nachgang einer Betriebsprüfung, eine geringfügige Beschäftigung des Kreishandwerksmeisters. Daher forderte sie pauschale Arbeitgeberbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für insgesamt 3 Jahre in Höhe von rund 2.600 Euro nach. Die DRV Bund war der Auffassung, dass der ehrenamtliche Kreishandwerksmeister abhängig beschäftigt gewesen sei, da er für die Kreishandwerkerschaft nicht nur repräsentative Aufgaben, sondern auch Verwaltungsaufgaben wahrzunehmen gehabt habe und insoweit auch weisungsgebunden gewesen sei.

Die hiergegen gerichtete Klage der Kreishandwerkerschaft vor dem Sozialgericht war erfolgreich. Im Rahmen der gegen die erstinstanzliche Entscheidung gerichteten Berufung vor dem Landessozialgericht obsiegte jedoch die DRV Bund. Auf die zugelassene Revision der Kreishandwerkerschaft hat der 12. Senat des BSG das Urteil des Landessozialgerichts aufgehoben und die Berufung der DRV Bund gegen das Sozialgerichts-Urteil zurückgewiesen.

Entscheidungsinhalt

Das BSG hat mit Urteil vom 16. August 2017 (Az.: B 12 KR 14/16 R) im Sinne der Kreishandwerkerschaft entschieden, dass Ehrenämter in der gesetzlichen Sozialversicherung trotz Zahlung einer angemessenen, pauschalen Aufwandsentschädigung, grundsätzlich beitragsfrei sind.

Nach Auffassung des 12. Senats des BSG erfüllt die Tätigkeit des ehrenamtlichen Kreishandwerksmeisters nicht die Voraussetzungen einer abhängigen Beschäftigung i.S.v. § 7 Abs. 1 SGB IV mit der Folge, dass auch keine Pflicht zur Entrichtung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung besteht.

Im Urteil des BSG vom 16. August 2017 (Az.: B 12 KR 14/16 R) wird als Begründung ausgeführt, dass Ehrenämter sich durch die Verfolgung eines ideellen, gemeinnützigen Zweckes auszeichnen und sich damit grundlegend von beitragspflichtigen, erwerbsorientierten Beschäftigungsverhältnissen unterscheiden. Die Gewährung von Aufwandsentschädigungen ändere daran nichts, selbst wenn sie pauschal und nicht „auf Heller und Pfennig“ dem tatsächlichen Aufwand entsprechend erfolge. Auch die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben sei unschädlich, soweit sie unmittelbar mit dem Ehrenamt verbunden seien, wie zum Beispiel die Einberufung und Leitung von Gremiensitzungen. Zur Stärkung des Ehrenamts sei zwar eine gesetzliche Klarstellung wünschenswert, so das BSG in seinem Urteil. Die fehlende Sozialversicherungspflicht ergebe sich aber auch nach geltendem Recht bereits aus dem im vorstehenden Sinn auszulegenden § 7 Abs. 1 SGB IV.

Bewertung und Folgen der Entscheidung

Die im Ergebnis zu begrüßende Entscheidung des BSG führt zu einem Grundsatz der fehlenden Sozialversicherungspflicht von Ehrenamtstätigkeiten.

Eine Sozialversicherungspflicht dürfte daher fortan als Ausnahmefall begründet werden müssen. Dabei müsste unseres Erachtens überhaupt eine Erwerbsorientiertheit der Tätigkeit durch den Sozialversicherungsträger nachzuweisen sein.  Hinsichtlich der Beurteilung der Erwerbsmäßigkeit kommt es nach der Auffassung des BSG nicht auf die subjektive Sicht  des Einzelnen an. Sondern es muss in Zukunft weiterhin geklärt werden, was vom ehrenamtlich Tätigen im konkreten Fall normativ oder mangels rechtlicher Regelung nach allgemeiner Verkehrsanschauung – von Aufwandsentschädigung und Aufwendungsersatz abgesehen – ohne Entlohnung seiner Arbeitskraft erwartet werden kann. Es muss objektiv erkennbar sein, dass die Verrichtung von ehrenamtlichen Tätigkeiten der einzelnen Person ohne Erwerbsabsicht erfolgt. Die Beurteilung der Erwerbsabsicht dürfte in Zukunft dennoch zu Schwierigkeiten führen, da die hierzu entwickelten Kriterien des BSG einen Beurteilungsspielraum für die Sozialversicherungsträger zulassen.

In jedem Fall verbleiben gewisse Unsicherheiten, die auch in Zukunft weiterhin Raum für Rechtsstreitigkeiten bieten können. Dies deutet sich aufgrund der wertungsbedürftigen Beschränkung des BSG an, wonach eine Aufwandsentschädigung „angemessen“ sein müsse, und letztlich auch in der Begrenzung auf einen „Grundsatz“ der Beitragsfreiheit. Naturgemäß stellt sich damit die Frage, ob und inwiefern Ausnahmen im Sinne einer Sozialversicherungspflicht denkbar sind. Mit Blick auf diese (Rest-)Unsicherheiten ist auch die vom BSG angeratene gesetzgeberische Klarstellung nachvollziehbar und aus Sicht des Rechtsanwenders wünschenswert.

Gerne sind wir Ihnen bereits jetzt bei Fragen rund um die Sozialversicherungspflicht von Ehrenämtern, auch unter Berücksichtigung der jüngsten Rechtsprechung des BSG, sowie bei sonstigen Fragen im Bereich des Sozialversicherungsrechts behilflich.

Für weitere Rückfragen und Informationen stehen wir Ihnen jederzeit gern zur Verfügung.

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Nicole Jochheim
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Senior Associate, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Verwaltungsrecht, Fachanwältin für Sozialrecht

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